VERLEUGNUNG
GB/US · 2016 · Laufzeit 111 Minuten · FSK 12 · Drama · Darsteller: Rachel Weisz, Timothy Spall, Tom Wilkinson u.a.
Anno 1996 strengte der britische Holocaustleugner David Irving einen im Jahr 2000 geführten Prozess gegen die US-Historikerin Deborah Lipstadt an. Vor dem Königlichen Zivilgericht in London standen Lipstadt und ihr Team aus renommierten Anwälten vor der absurden Aufgabe, Beweise für den Genozid an den Juden zu erbringen - das britische Rechtssystem kennt nämlich anders als das amerikanische keine Unschuldsvermutung des Angeklagten. Den Prozessverlauf und die pragmatische Taktik der Verteidigung beleuchten der Regisseur Mick Jackson und der Autor David Hare im faktentreuen Justizdrama Verleugnung, das auf Lipstadts Buch History on Trial: My Day in Court with a Holocaust Denier basiert (dt.: Betrifft: Leugnen des Holocaust). Im Zentrum stehen klar gezeichnete Konflikte und eine interessante Frage: Was ist und wer bestimmt die historische Wahrheit?
Quelle: www.programmkino.de
Der Holocaustleugner David Irving (Timothy Spall) entert einen Vortrag der US-Historikerin Deborah Lipstadt (Rachel Weisz) und bietet ihren Studenten lauthals eine Geldprämie, wenn sie einen Beweis für den gezielten Völkermord an den europäischen Juden erbringen. Zu dieser Zeit ahnt Lipstadt nicht, dass einige Monate später eine Klageschrift des Geschichtsrevisionisten ins Haus flattert. Irving sieht sich in ihrem 1993 bei Penguin Books veröffentlichtem Sachbuch „Denying the Holocaust“ dem Straftatbestand der Verleumdung ausgesetzt. Im Jahr 2000 kommt es in London zum Prozess, in dessen Verlauf Lipstadt und ein Juristenteam um die Anwälte Richard Rampton und Anthony Julius (Tom Wilkinson & Andrew Scott) beweisen müssen, dass der Holocaust stattgefunden hat.
Unter dem Vorsitz von Richter Charles Gray (Alex Jennings) ziehen verschiedene Gutachter Irvings Thesen in Zweifel. Ein Architekturexperte weist die Existenz der Gaskammern in Auschwitz nach, was Irving wegen fehlender Entlüftungslöcher bezweifelt hatte (Schlagzeile dazu: „No holes, no Holocaust“). Der Westberliner Professor Hajo Funke zeigt Irvings Vernetzung in der rechtsextremistischen Szene auf, der Historiker Richard Evans deckt seine unsaubere historische Quellenarbeit auf. Irvings Ziel war es, Hitlers Wissen um den Genozid mit bewussten Fehldeutungen und Umdatierungen zu verschleiern: „Ich bin kein Historiker des Holocaust, ich bin ein Historiker Hitlers,“ sagt er.
Anders als Irving verteidigt sich Deborah Lipstadt nicht selbst, was dem Justizdrama griffige Konflikte verleiht. Während sich Irving im Zeugenstand in Szene setzt, muss Lipstadt ihr Vorgehen kleinteilig mit den Staranwälten Rampton und Julius abstimmen. Die Juristen beschließen, Lipstadt nicht im Zeugenstand auftreten zu lassen und keine Holocaust-Überlebenden vor Gericht zuzulassen, weil sie eine öffentliche Demütigung dieser befürchten. Die von Rachel Weisz schlagfertig gespielte Lipstadt, selbst Jüdin, hadert mit den prozesstaktischen Winkelzügen, denn ihrem Empfinden nach sollen Zeitzeugen aussagen. Der Konflikt Emotio vs. Ratio entfaltet sich in einigen Diskussionen mit den Anwälten und verleiht der sachlichen Analyse eine moralische Dimension.
Inhaltlich fällt „Verleugnung“ interessant aus, erzählerisch und filmisch liefern der Regisseur Mick Jackson („Bodyguard“) und der Drehbuchautor David Hare („Der Vorleser“) solide Arbeit. Die Konflikte drücken sich fast ausschließlich über Dialoge aus, wobei die Gespräche zwischen Tom Wilkinson („Michael Clayton“) und Rachel Weisz („Der ewige Gärtner“) von zentraler Bedeutung sind. Der von Timothy Spall („Mr. Turner“) linkisch verkörperte Holocaustleugner Irving ist hingegen simpel gestrickt, was in Anbetracht von Spalls schauspielerischem Potential besonders schade ist. So machen zuerst die Themen, also Antisemitismus, Rechtsextremismus und Geschichtsklitterung, das Justizdrama interessant.
In einer Schlüsselszene besuchen Lipstadt und ihre Anwälte Auschwitz, um das Krematorium vor Ort zu begutachten. Nebel liegt über der Gedenkstätte, Fotos und Zeichnungen der Gaskammern verweisen auf den realen Schrecken. Wenn hier ein Wassertropfen tränengleich vom Stacheldraht tropft, ist das ein durchaus passendes Bild, das dem faktenorientierten Justizdrama eine gewisse Menschlichkeit hinzufügt. Die Grenze zum Kitsch überschreitet Jackson erst am Ende, als eine Justitia-Statue schützend ihre Arme ausbreitet.
Christian Horn
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