LIEBFRAUEN - Filmgespräch mit G. Lamprecht
DE · 1984/85 · Laufzeit 103 Minuten · FSK 12 · TV-Drama · Darsteller: Marianne Hoppe, Günter Lamprecht, Ralf Richter u.a.
Fernsehspiel von Johannes Reben mit anschl. Filmgespräch miz Günter Lamprecht
im Rahmen des 1. Oberhausener Katholikentages
Ihr ist nichts heilig: die Ikonen an den Wänden nicht, nicht die Nonne, die Alten und Kranken in der Gemeinde hilft, und schon gar nicht der Beruf ihres Sohnes. Der ist Pfarrer geworden und lebt in Liebfrauen, einer Durchschnittsgemeinde im Ruhrgebiet. Für sie ist das kein Ort zum Verweilen. Sie findet: Diese Gegend ist genauso häßlich wie man sie sich vorstellt. Der Zuschauer kann dieses Urteil nicht überprüfen, denn Liebfrauen ist ein Kammerspiel, ein Zwiegespräch zwischen Mutter und Sohn, und das Pfarrhaus Ort der Handlung.
Anne Frederiksen
Quelle: www.zeit.de
Hierher kommt Katharina Millstatt, Schauspielerin von Beruf und Freigeist in ihrer Gesinnung, nachdem sie zwanzig Jahre auf der Bühne gestanden hat und jetzt, 70jährig, in Samuel Becketts Stück Glückliche Tage zum letzten Mal auftritt kein Erfolg für die Schauspielerin, aber vielleicht das Motto ihrer Vergangenheit. Denn nur die Kunst kann für sie, so scheint es, Glück bedeuten.
Die Realität, auch wenn sie sich eine alte, harte Realistin nennt, möchte sie sich lieber vom Leibe halten. Dem begabten Sohn er hätte ein großer Pianist werden können wirft sie, als sie ihn nach zwanzig Jahren zum ersten Mal wiedersieht, die Berufswahl vor und malt sich schwärmerisch aus, wie es wäre, wenn sie ihn als berühmten Musiker in einer repräsentativen Wohnung besuchte. Für sein jetziges Leben findet sie nur harte Attribute: spießig, dümmlich, langweilig. Sie ist eine Frau der großen Pose, mal argumentiert sie beherrscht, mal schreit sie ihre Emotionen heraus.
Verhalten dagegen ihr Sohn. Ein stiller Mensch – Günter Lamprecht findet leise Töne und ist in Gestik und Mimik äußerst zurückhaltend und gerade deshalb überzeugend –, der es sich nicht leicht macht mit seinem Beruf, dünnhäutig ist und verständnisvoll. Die Angriffe seiner Mutter – und jedes ihrer Worte ist ein direkter oder indirekter Angriff auf ihn oder seinen Berufsstand – nimmt er hin. Ganz selten nur kommt Schärfe in seine Rede. Denn längst hat er erkannt, was seine Mutter durch ihr Verhalten zu verstecken sucht: daß sie eine einsame Frau ist, von Existenzangst und der Furcht vor dem Alter getrieben.
Liebfrauen (...) ist fast so etwas wie ein dialektisches Lehrstück über den christlichen Glauben. Die Rede der Mutter wird von der Gegenrede des Sohnes abgelöst, diese jedoch durch Beispiele aus dem Gemeindegeschehen erweitert, was erkennen läßt, welcher Seite die Sympathie des Autors und Regisseurs Johannes Reben gilt.
Die Worte der Mutter bleiben Worte, denen des Sohnes folgen Taten. Reben zeigt ihn als einfühlsamen Tröster. Ein junger Mann aus der Gemeinde kommt nach dem tödlichen Unfall seiner Frau verstört zu ihm und wird behutsam von seinem Schock in die Wirklichkeit zurückgeholt. Und nöch eines tut Reben: Er räumt auf mit Vorurteilen, die viele denen gegenüber empfinden, die sich ganz dem Christentum verschrieben haben. Katharina Millstatt zum Beispiel hatte sich eine Nonne als dürre, unscheinbare, verbissene Person vorgestellt, und als Schwester Portiunkula vor ihr steht, sieht sie eine lebenslustige, hübsche, quirlige junge Frau. Die Antithese, Kritik an der Kirche, ist (...) hart und oft schonungslos (Pfarrer werden als Heuchelbrüder bezeichnet); die These, Plädoyer für ein christliches Engagement, immer differenziert, die Schwierigkeiten eines Christenlebens bedenkend. Die Synthese, Mutter und Sohn finden sich schließlich, ist von einem Hauch Larmoyanz überschattet.
Anne Frederiksen
Quelle: <link http: www.zeit.de zwiegespraech-oesterlich external-link-new-window>www.zeit.de