LATE-NIGHT-MOVIE THE CLEANERS

DE/BR/NL/IT/US · 2018 · Laufzeit 90 Minuten · FSK: 16 Jahre · Dokumentarfilm · Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck

Hoch aktuell, dabei so spannend wie ein Krimi und so schockierend wie ein Thriller ist die investigative Dokumentation von Hans Block und Moritz Riesewick über einen Bereich, der untrennbar mit Sozialen Medien verbunden ist: die Content Moderatoren, die, bewusst oder unbewusst, als Zensoren tätig sind. Die beiden Filmemacher enthüllen diese Mechanismen und zeigen die Menschen, die als Putzkräfte 2.0 die hässliche Dreckarbeit machen müssen.

Angesichts der stetig wachsenden Bilderflut in den sozialen Netzwerken und im Hinblick auf den kritischen Umgang mit Facebook & Co. kommt der handwerklich gelungene Film genau zur richtigen Zeit. Er wendet sich an alle, die sich mit Social Media befassen, selbstverständlich auch an Jugendliche. Aber Achtung: Es gibt Passagen, die nicht für zartbesaitete Menschen geeignet sind. Dennoch ist zu hoffen, dass dieser wichtige Film ein großes Publikum finden wird.

Quelle: www.programmkino.de

Facebook, YouTube, Instagram & Co. – die vormaligen StartUps von jungen, oft idealistischen Technikfreaks wurden zu weltumspannenden Wirtschaftsunternehmen und nicht mehr wegzudenken aus der digitalen Wirklichkeit. Doch dahinter steckt eine gigantische Schattenwelt, denn schon vor Jahren haben die globalen Social Media-Netzwerke beinahe den gesamten Bereich der Kontrolle und – ja, das ist es: Zensur – von Inhalten outgesourct. Das Zentrum der digitalen Säuberungsindustrie liegt in Manila auf den Philippinen. Dort arbeiten Tausende von angelernten Arbeitskräften daran, Bilder und Filme zu sichten, um in Sekunden darüber zu entscheiden, welche Inhalte im Netz bleiben dürfen und welche gelöscht werden. Manche müssen 25000 Bilder am Tag checken. Fehler sind dabei ebenso wenig eingeplant wie Besprechungen oder Supervisionen. Diese Leute, man lernt sie im Film nach und nach ein bisschen kennen, auch in ihrem privaten Umfeld, fühlen sich manchmal als Märtyrer – sie säubern das Netz mit der Mission, die Sünde auszulöschen und das Schlechte aus der Welt zu entfernen. Die Philippinen sind traditionell streng katholisch, die Kirche hat das ganze Land geprägt. Viele sind stolz auf ihre Arbeit, manche machen einfach einen Job, ganz oder beinahe ohne religiöse Verklärung. Doch dieser Job hinterlässt Spuren, bei allen. Die ständige Konfrontation mit Sex, Krieg und Gewalt in jeder Form führt bei vielen zu psychischen Störungen. Einige der jungen Frauen und Männern, die es gewagt haben, trotz der Drohungen ihrer Arbeitgeber im Film über ihre Arbeit zu sprechen, haben nach den Interviews für diesen Film gekündigt, wie zum Filmende hin zu erfahren ist.

Dass und wie es den beiden Filmemachern gelungen ist, ins Zentrum der digitalen Säuberungsindustrie vorzudringen, wäre allein schon spannend genug, aber tatsächlich leisten Hans Block und Moritz Riesewick sowie alle, die an der Recherche beteiligt waren, noch mehr: Sie zeigen die Menschen, geben ihnen eine Stimme – für viele ist es die erste Möglichkeit, einmal über ihre Arbeit zu sprechen – und sie enthüllen gleichzeitig das fatale System dahinter: die stetig wachsende Social Media Industrie mit ihren technischen und kommerziellen Verflechtungen und die Unfähigkeit sämtlicher Instanzen im Umgang mit den Inhalten, die in unvorstellbarer Menge durchs WWW flitzen. Wie der sprichwörtliche Zauberlehrling steht ein Mark Zuckerberg in seinem Glauben an das Gute im Menschen und in der Technik machtlos dem gegenüber, was er geschaffen hat. Die Geister, die er rief, wird er nicht mehr los. Kann man ihm die Schuld geben, dass er etwas erfunden und ausgebaut hat, was offensichtlich den Zeitgeist so getroffen hat, dass Milliarden von Menschen glauben, Facebook sei das Internet? Nutzung und Missbrauch von Datenmaterial ist die eine verwerfliche Sache, sie läuft eher im Hintergrund, viel offensichtlicher für alle User ist der Umgang mit Bildern. Jemand, der niedliche Katzenvideos und Urlaubsbilder postet, kann sich nicht vorstellen, welchen Bildern die digitalen Reinigungskräfte ausgesetzt werden. Sie sind die Müllmänner und Putzfrauen im Internet, sie räumen den Dreck weg, den andere hinterlassen, und weil sie aufgrund ihrer Vorbildung und einer mangelhaften Einarbeitung nicht unterscheiden können zwischen Ernsthaftigkeit und Ironie, wird manches zerstört, was wichtig und wertvoll wäre. Einige Künstler kommen zu Wort, deren Werke aus den Sozialen Medien entfernt wurden. Gegen die Nöte dieser Künstler erscheint, ohne ihre Verdienste zu schmälern, die absichtsvolle Einflussnahme auf politische Strömungen deutlich bedenklicher. Gerade die Philippinen sind ein Beispiel dafür. Mediale Unterstützung erhält der in mehrfacher Hinsicht dubiose Staatspräsident Duterte unter anderem massiv durch die Sozialen Medien, seit er sie selbst für sich und seine Zwecke entdeckt hat. Andersdenkende werden komplett ausgeklammert.

Doch der größte Teil der Inhalte, die hier besprochen werden, besteht aus dem Umgang mit Sex, auch Kinderpornographie, mit Krieg, Terrorismus und allgemein mit Gewaltdarstellungen. Glücklicherweise wird nur wenig gezeigt, aber das Wenige ist schon schockierend genug. Die Auseinandersetzung mit den furchtbaren Bildern, denen die Content Moderatoren ausgesetzt sind, hat niemals etwas Sensationsheischendes. Das ist nicht nur ehrenvoll, sondern es erlaubt erst, den Film zu sehen, ohne dabei irre zu werden. Das Kopfkino ist schon schlimm genug. Vieles wird über die Hände der Content Moderatoren dargestellt. Meist sieht man keine Gesichter, manchmal nur die Hände, die die Maus führen. Um sie herum ist Dunkelheit, vor ihnen der Monitor. Dazu die monotonen Stimmen und ihr „Ignore“ und „Delete“. Ignorieren, löschen – damit werden die Entscheidungen getroffen, ob ein Bild oder ein Film im Netz bleiben darf oder nicht. Nur diese beiden Optionen bleiben, und so werden möglicherweise Beweise vernichtet, was verhindert, dass jemand vor ein Kriegsgericht gestellt werden kann, andererseits werden vielleicht Kinder davor bewahrt, eine Vergewaltigung mitanzusehen. Wer entscheidet darüber? Wie kann die Bilderflut anders kontrolliert werden? Eigentlich sind sich die meisten Beteiligten darüber einig, dass es keine gute Idee ist, die Entscheidungen darüber an Privatfirmen abzugeben, die weder ihre Arbeitsbedingungen noch ihre Grundsätze offenlegen. Aber wie könnte das Problem anders gelöst werden?

„Ich habe Hunderte von Enthauptungen gesehen“, sagt einer der Content Moderatoren. Was machen die Bilder mit den Menschen und aus den Menschen? Die Massenmedien als Kontrollorgan haben weltweit an Bedeutung verloren, an ihre Stelle ist eine globale Demokratisierung von Informationen und Inhalten getreten – mit allen positiven wie negativen Folgen. Die sozialen Netzwerke werden immer mächtiger, sie können dazu beitragen, dass Menschen und ganze Völkergruppen verfolgt werden, dass Menschenmassen in einer bisher unbekannten Form manipuliert werden. Wohin steuert die digitale Öffentlichkeit? Hans Block und Moritz Riesewick liefern die Fragen für eine Auseinandersetzung, die täglich dringender und drängender wird. Dabei haben sie sich formal beim Thriller bedient – die Bilder aus Manila sind mit ihren Schattenspielen und bedrückenden Verfremdungen oft von expressionistischer Bedrohlichkeit und wirken so besonders geheimnisvoll. Auch die Musik unterstützt den verstörenden Inhalt, manchmal wirkt sie mit ihrem drängenden Elektrowummern wie der immer schneller werdende Herzschlag eines kranken Menschen. Um weiter bei diesem Bild zu bleiben: Die Krankheit ist bekannt – jeder weiß, dass das Behandlungsverfahren falsch ist, so dass irgendwann der Kollaps erfolgen wird, wenn sich nicht sämtliche Beteiligte zusammenraufen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Möglichst bald.

Gaby Sikorski

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